Bedauern wir die Leere einer Stadt oder ist es die innere Leere, die sich beklagt, dass ihr gerade weniger Ablenkungen zur Verfügung stehen?
Ich weiß, diese Meinung teile ich nur mit wenigen, aber ich wage es dennoch auszusprechen: Ich hatte noch nie das Gefühl, dass eine leere Stadt beklemmend sein könnte! Klar, die Umstände für die gähnende Leere sind in diesem Fall keine erfreulichen. Corona. Das Wort schreibe ich nur deshalb auf, um später den Anlass für diesen Post zuordnen zu können.
BEKLEMMEND war für mich eher der Versuch, mir den Weg durch die mit Selfie-Stangen bewaffneten Touristenscharen vor Mozarts Geburtshaus zu bahnen.
BEFREMDLICH war es für mich, wenn fahrradfahrende Touristen-Brigaden Sound-of-Music-trällernd am Leopoldskroner Weiher vorbeizogen.
SELTSAM fand ich es, wenn Touristen in fetten Mietautos hinter verdunkelten Scheiben Sightseeing-Touren durch kleine Ortschaften im Salzkammergut machten und ich – als unwissende Statistin ohne Dirndl – die idyllische Inszenierung versaute.
BESORGT war ich um meinen Lieblingsplatz an meinem Lieblingssee, den ich frühmorgens mit einer Touristenfamilie teilen musste, die mit der Mission gekommen war, jeden Quadratzentimeter abzufilmen.
Ok, das ist gelogen. Ich war schon vorher besorgt. Nämlich als eine Influencerin mit fast 7-stelliger Reichweite von der Tourismusbehörde bezahlt wurde, um viel zu schöne Sunset-SUP-Fotos auf meinem naturbelassenen Lieblingssee mit Trinkwasser-Qualität zu machen! Ich glaube, ich habe ein bisschen geweint bei der Vorstellung wie viele Menschen dieses Paradies zukünftig zunichte machen würden. Eine Million Instagram-Follower auf 2,7 Quadratkilometer unberührte Natur. Mir wird noch immer flau im Magen. Und ich laufe Gefahr, diesem Virus auch noch dankbar für die Reiseeinschränkungen zu sein, die er uns eingebrockt hat.
Ja ich bin mir völlig bewusst, dass dies nur eine Betrachtung aus meiner Perspektive ist (Und ebenso bewusst, aber grundlos beginne ich die Sätze wie unser Bundeskanzler)! Wieso sollte ich das Recht haben, das alles für mich allein zu beanspruchen. Ich als ‚Zuag’roaste‘, die hier weder geboren noch aufgewachsen ist & sich Salzburg einfach als ideale Homebase ausgesucht hat.
Und doch mag ich behaupten, dass ich mir als Touristin an jedem Ort der Welt größte Mühe gebe, nicht als solche auf- oder aus dem Rahmen zu fallen. Ok, ich gebe zu, dass ich mir vor Jahrzehnten mal eingebildet habe, die Ranch aus der TV-Serie „Dallas“ persönlich besichtigen zu müssen. Ich habe auch vor lauter Neugier die Quinta da Regaleira in Sintra besucht. Ja, ich habe am Pool des Riad Yasmine in Marrakesch posiert, obwohl eine unzählbare Zahl an Influencern schon dasselbe vor mir getan haben. Mea Culpa. ABER: Ich hab keines der Fotos auf Instagram gepostet. Da geht der Punkt wieder an mich!
Vielleicht war das alles nötig, um mir bewusst zu werden, dass ich nirgendwo auf der Welt diese Touristin sein will, für die ich mich hier in Salzburg schämen würde. Ich möchte nur das an fremden Orten tun, was die Locals auch tun würden. Und dazu gehört ganz sicher nicht, Karaoke-singend in Kolonne um den Leopoldskroner Weiher zu radeln. Ich kenne jedenfalls niemanden, der in Salzburg wohnt, der sich je aus freien Stücken für die Sound-of-Music-Songs begeistern würde. Und ich schwöre, ich wurde auf meinen Weltreisen nicht nur einmal ‚gezwungen‘, die mir völlig unbekannten Lieder mitzusingen und nicht eher in Ruhe gelassen, bis ich den Film |die Szenerien|die Schauspieler|und ich weiß nicht was sonst noch alles zum Highlight meines märchenhaften Wohnortes erklärt hatte. Not kidding!
Schon seit einiger Zeit, habe ich begonnen mit meinen persönlichen Tipps & Entdeckungen sehr behutsam umzugehen – und sie nicht mit der ganzen Welt, sondern nur mit meinem TRIBE zu teilen! Ich finde das noch immer eine wunderbare Idee und bin dankbar, wenn mein Tun nicht mit den Begriffen Reiseblogger & Influencer in Verbindung gebracht wird.
Es ist mir völlig klar, dass gerade eine Stadt wie Salzburg von ihrer Geschichte & damit auch vom Tourismus lebt. Es ist mir klar, dass die Geschäfte eine harte Zeit erleben, wenn niemand da ist, der die Ware kauft! Und doch ist JETZT die Zeit, neu zu denken: Was kann ich anbieten, was die Menschen wirklich brauchen? Was macht Sinn? Was hat Bestand?
Jetzt ist Zeit, in der sich die Welt neu erfinden muss und darf. Wir befinden uns in einer schmerzhaften, zerbrechlichen Phase der Transformation, die etwas Neues einläutet. Sie nennt sich ‚Liminal Space‘, wie ich kürzlich von einer sehr klugen & wissenden Frau erfahren durfte. Es gibt ohnehin kein Zurück in die abnormale Normalität von gestern. Also warum die Leere einer Stadt bedauern, wenn es doch eigentlich die innere Leere ist, die sich beklagt, dass ihr gerade weniger Ablenkungen zur Verfügung stehen?
Ich bin mir völlig bewusst, dass ich mich weit aus dem historischen Kastenstockfenster lehne, aber ich bleibe bei meiner Meinung: Masse ist für mich weitaus beklemmender als Leere!