Unzählbar oft war ich als Kind in Amsterdam. Nun hat es mich auf dem Weg nach Aruba für 48 Stunden dorthin verschlagen.
Eigentlich sollte es von München über Amsterdam in die Karibik gehen. Doch dann kam alles anders. Schon verspätet in München gestartet, habe ich in Amsterdam meinen Flug verpasst. Wie sehr viele andere Menschen an diesem Tag. Schuld war die zweite Landebahn am Airport Schiphol, die aufgrund ausgiebiger Regenfälle außer Gefecht gesetzt war. Ich habe zähneknirschend fast einen Tag am Flughafen verbracht, bin in langen Menschenschlangen versunken, habe Hotlines gewählt und um Ersatzflüge gekämpft. Am Ende kam ich zu dem smarten Entschluss, zwei Nächte in Amsterdam zu bleiben, um danach den nächsten Direktflug nach Aruba nehmen. Nach einigen Stunden stand ich dann endlich mit einem Hotelvoucher und meinem Trolley bereit, um meinen ungeplanten Zwischenstopp anzutreten.
Mein Hotel, nur ein paar Kilometer vom Flughafen entfernt, bleibt lieber unerwähnt, denn es war bestimmt nicht das, was einem stilbewussten Reisenden gefällt. Mit meiner „KLM Stranded Passenger“-Hotelkarte mischte ich mich also unter die gefühlt 799 Seminarteilnehmer diverser Großkonzerne, die sich mit sichtlich mehr Enthusiasmus als ich durch das Abendbuffet kämpften. Ein ähnliches Schauspiel bot sich mir am nächsten Morgen nach einer überraschend erholsamen Nacht. Mit dem in regelmäßigen Abständen zwischen Hotel und Airport verkehrenden Shuttle-Bus folgte ich meinem Fluchtplan: Hotel-Flughafen-Bahnhof. Die Fahrt mit der Schnellbahn vom Airport in die Stadt kostete nur schlappe 5,20 Euro und 15 Minuten meiner Zeit. Die Sonne scheinte vom Himmel, als ich am Bahnhof in Amsterdam stand, um von dort aus die Stadt zu Fuß zu erkunden.
12 Stunden in Amsterdam
Was ein echter Holländer ist, düst natürlich in Windeseile mit einem der typischen schwarzen Fahrrädern durch die Straßen und über die kleinen Brücken von Amsterdam. Auch etliche Touristen versuchen es ihnen gleich zu tun. Doch aus den Beobachtungen in meiner Heimatstadt Salzburg (Stichwort: Sound of Music-Fahrradtour mit ungelenken Amerikanern auf weißen Beachcruisern!) weiß ich, wie fürchterlich man sich als Nicht-Local anstellen kann, wenn man an das Leihfahrrad nicht gewöhnt und mit dem Verlauf der Radwege nicht vertraut ist. Also ersparte ich mir dieses Experiment. Spaziert man als Fußgänger durch die Stadt, sollte man auf der Hut sein, nicht gedankenverloren mit dem Handy, Fotoapparat und Stadtplan in der Hand auf einem Radweg zu landen. Tut man es doch, wird man schnell bemerken, dass man sich gerade auf dem falschen Stück Asphalt bewegt. Denn auch wenn die kleinen Straßen entlang idyllischer Wasserwege gemütlich wirken, geht es dort doch sehr rasant zu. Mit den Ampeln nimmt man es nicht so genau. „Rot“ wird als eine Empfehlung gedeutet, keineswegs als Pflicht, sich auch wirklich daran zu halten.
Amsterdam zu Fuß erkunden
Aus nostalgischen Gründen spazierte ich durch die Nieuwezijds Voorburgwal, in der sich unverändert Geschäfte von H&M bis Blokker aneinanderreihen. Kein schöner Anblick, aber hier habe ich in meinem Teenie-Jahren einen regelrechten Shoppingrausch erlebt, den ich damit Revue passieren ließ. Wirklich schön wird Amsterdam erst, sobald man den großen Platz mit Madame Tussauds und seinen Pantomime-Künstlern, die am liebsten den Tod mit einem überdimensionalen Fake-Joint im Mundwinkel imitieren, hinter sich lässt. Man überquert die erste Gracht und geht zielstrebig weiter, um sich Stück für Stück von touristischen Anziehungspunkten wie dem berühmten Blumenmarkt (an dem ich noch nie etwas Sehenswertes entdecken konnte) zu entfernen. Der sonnige Tag bestärkte mich darin, einfach irgendwelchen Straßen zu folgen und zu sehen, wohin sie mich führen. Amsterdam zählt meiner Meinung nach zu den Städten, in die man planlos eintauchen kann, ohne jemals wirklich verloren zu gehen. Dazu bilden die wie ein Spinnennetz geformten Grachten hervorragende Orientierungspunkte.
Von pastellfarbenen Cafés & nützlichen Apple-Stores
Fast wie von selbst landete ich nach einem kulinarischen Zwischenstopp im Wagamama am Rijksmuseum mit seinen weiten Grünflächen, die genauso gut irgendwo in London sein könnten. Dort machte mein iPhone vom vielen Fotografieren bereits schlapp. Wie gut, dass Amsterdam einen sehr dominanten Apple-Store mit der typischen gläsernen Wendeltreppe beheimatet. Wie ein gestrandeter Apple-Jünger nahm man mich dort wohlwollend auf. Die beiden Jungs am Empfang hielten ihr iPad tatsächlich genau so vor ihre Brust wie ein Pfarrer seine Bibel. Egal, ich durfte an einem riesigen Tisch Platz nehmen, mein Handy aufladen und mir dazwischen mit einem jungfräulichen iPad die Zeit vertreiben. Ich nutzte die Gelegenheit, um online die Yogaszene in Amsterdam zu studieren und mich an den schönen Fotos von Delight Yoga zu erfreuen, die erst kürzlich ihr drittes Studio in der Weteringschans, nicht weit von meinem Apple-Stützpunkt, eröffnet hatten. Ich machte mich sogar auf den Weg dorthin, bin allerdings mehrfach gnadenlos am Studio vorbeigelaufen, da ich mit offensichtlicheren Hinweisen gerechnet hatte, als nur mit einem kleinen goldenen Türschild an einer Wohnungstür. Zu spät für die Yogastunde, wollte ich dann gar nicht erst klingeln.
Zudem strahlte die Sonne so schön über Amsterdam, dass ich dies als Zeichen wertete, doch lieber einen Cappuccino an der pittoresken Spiegelgracht zu trinken und nichts anderes zu tun als mich am Stadtbild und den vorbeilaufenden Menschen zu erfreuen. Es kann schon mal passieren, dass man seinen Sitzplatz nach dem Look des dahinter stehenden Hauses wählt. In meinem Fall deuteten entzückende Pastellfarben auf eine liebevoll geführte Patisserie hin. Der Kaffee kam, aber leider per Druckknopf aus der Maschine. Schließlich suchte ich die Toilette auf und stand unter einem opulenten Kronleuchter und inmitten pastellfarbener Wände. Man fragte mich freundlich, aber bestimmt, was ich hier zu suchen hätte, dies sei kein Café, sondern ein Büro. Achja, vielleicht sollte man den einladenden Effekt der Pastellfarben überdenken. Bei der „richtigen“ Toilette in der Bar schräg gegenüber angekommen (dunkles Holz, düstere Stimmung), wurde mir schnell klar, warum auch der Kaffee nicht geschmeckt hat.
Feierabend in Amsterdam
Entlang der schönen Prinsengracht arbeitete ich mich schließlich in Richtung Jordaan-Viertel vor. Ich musterte die unendlich langen Warteschlangen vor dem Anne Frank Haus, das ich zum Glück schon bei einem anderen Amsterdam-Besuch abhaken konnte. Ach, ich hätte hier ewig spazieren können und beobachten, wie die Menschen ihren Feierabend auf den Treppen und den kleinen Balkonen ihrer Häuser zelebrieren. Mit einem Buch, ein paar Kissen und einem stilvollen Glas Wein. Die Stimmung erinnerte mich an den perfekten Mix aus Nyhavn und Notting Hill, garniert mit den Afterwork-Vibes aus Sydney. Schließlich war es ein Mittwoch, eben ein ganz normaler Wochentag. An so einem Tag wäre man im Alpenland prinzipiell schlecht gelaunt, weil man mit der guten Laune offiziell nicht vor Freitag beginnt. Von Montag bis Freitag leidet man konstant unter den Umständen seines Alltags. Man käme gar nicht auf die Idee, das „Weekend-Feeling“ auf einen Wochentag zu verlegen. Einfach so, nur um ein bisschen von der Norm abzuweichen und Spaß zu haben. Freitags wird traditionellerweise der Rasen gemäht, samstags der Grill angeworfen und sonntags grämt man sich, weil morgen wieder Montag ist. Von den Medien wird diese Lebenseinstellung mittels dramatischer Wetterberichte noch geschürt. Denn ja, es könnte sein, dass am Samstag drei Stunden die Sonne scheint. Und man will schließlich alles erledigt haben, um fix fertig in den Startlöchern zu stehen für das, was man „Freizeit“ nennt. Dieser Slot kurzer Zufriedenheit erzeugt in manchen Köpfen eine gewisse Hektik, der man sich im locker-flockigen Amsterdam gar nicht erst aussetzt.
Vielleicht denken meine Leser nun: Was hat sie denn bloß? Als würden wir wochentags kein Gläschen Wein trinken! Aber ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr, die hier auf Follow Your Trolley landet oder vielleicht sogar regelmäßig meinen Blog liest, genau wisst, was ich meine! Das Lebensgefühl ist eben in Amsterdam ein ganz anderes. Und in Kopenhagen und Sydney auch. Und ich liebe nichts mehr als solche Städte, durch die man spaziert und beobachten kann, dass die Menschen zwischen Arbeit, Freizeit und Vergnügen keine rigorose Trennlinie ziehen.
Die Zeit war leider viel zu kurz, um auch die Healthy Food Szene zu erkunden. Ich bin sicher, es gibt sie irgendwo, aber sie hat sich mir bis auf einen Green Smoothie-to-go nicht gerade aufgedrängt. Ich wäre gerne länger geblieben, um die Stadt völlig zu erfassen. Ja, das sage ich viel zu oft. Denn waren das nicht auch in Lissabon schon meine Worte? Tja, es ist wohl noch ein weiter Weg von „Flashpacking“ zu „Slow Travel“. Allerdings war dies ja kein geplanter Städtetrip, stattdessen habe ich versucht, das Beste aus meiner Wartezeit zu machen. Mehr noch: Ich würde jedem, der sich von Amsterdam auf den Weg zu den Niederländischen Antillen in der Karibik macht, raten, ein paar Tage in der Stadt zu verweilen. Denn es wäre wirklich viel zu schade, nur den Flughafen gesehen zu haben…