Cabo da Roca – mystisch, magisch & rau zugleich: Gedanken am westlichsten Punkt Europas
Ich bin ein Abenteurer, aber nicht im herkömmlichen Sinne. Ich brauche keine Adrenalin-Kicks und keine Survival-Camps, keine Expeditionen durch den Dschungel oder in die Antarktis. Ich habe keine Lust, mich in spartanischen Unterkünften mit Getier, das mehr als vier Beine hat, herumzuschlagen. Ich mag keine allzu ungemütlichen Wetterverhältnisse – und doch hat es mich „versehentlich“ ans Cabo da Roca im Sintragebirge nördlich von Lissabon verschlagen.
Ich bin ein größerer Fan von Harmonie als von Extremen. Ich mag harmonische Sonnenuntergänge, harmonische Endlos-Strände und harmonisch gestaltete Hotelzimmer. Gegen eine harmonische Yogastunde am Meer ist auch nichts einzuwenden. Ich mag die Balance aus Yin & Yang. Und es ist meine persönliche Challenge im Alltag, nicht zu sehr aus dem Lot zu kommen. Wenn ich mich gestresst fühle, dann suche ich instinktiv nach etwas, das Ruhe in mein Leben bringt. Würde ich in einer Achterbahn mitfahren (was ich tunlichst meide), dann müsste ich danach vermutlich tagelang meditieren, um wieder halbwegs meine Mitte zu finden.
Wieso denke ich also ein Abenteurer zu sein? Nun ja, ich bin eher ein Gedanken-Abenteurer! Mein Geist ist sehr abenteuerlich, fantasiereich und kreativ! Ich baue Luftschlösser, male mir kunterbunte Tagträume aus und erzähle mir selbst die unglaublichsten Geschichten. Es ist, als würde mein inneres Kind plötzlich das Ruder für mein Dasein übernehmen. Beim Spielen einfach die Zeit vergessen. Und niemals schlafen gehen wollen, auch wenn es längst nach Mitternacht ist.
Der eigenwillige Charme am Cabo da Roca
Kommen wir allmählich zum Punkt dieses philosophischen Posts: Ich war in Sintra. Ein magischer Ort gerade 30 Autominuten von Lissabon entfernt. Wo jeder grüne Fleck einem verwunschenen Zaubergarten gleicht. Wo jederzeit ein Fabelwesen um die Ecke kommen könnte, ohne dass man verwundert wäre. Ich habe im Tivoli Palacio de Seteais übernachtet. Oder besser gesagt, wie eine Prinzessin residiert. Ein Schloss wie aus einer anderen Welt. Wir haben Yoga geübt, Klangmeditationen gelauscht und wohltuende Massagen im Spa genossen. Und wir haben die wildromantische Natur nah am Atlantik erforscht: Eine Nachtwanderung zum Mondschein inmitten dunkler Wälder. Wandertouren zu mystischen Kraftplätzen der Kelten.
Und eben diese Wanderung , die uns an den westlichsten Punkt Europas führte, ans Cabo da Roca. Hier sind schon Besucher ins Meer gestürzt. Es ist kein harmonischer Platz, es ist ein Ort, an dem die Elemente aufeinander prallen. Ein Ort der Extreme, der sogar gefährlich werden kann.
Wie üblich stand ich dann da, wenig amused über den kalten Wind, der mein vom Hotel geborgtes Cape wie ein Zelt aufblähte. Ich trug weder wasser- noch windabweisende Outdoor-Kleidung, weil ich eine Reise ans Meer immer mit Sonnenschein und Flip-Flops assoziiere. Meine Haare zerzaust, mein Blick mürrisch. Ich mag keinen Wind. Schon gar nicht, wenn er so agressiv und kalt über den Atlantik fegt. Ich erinnere mich an so manche Berg- und Vulkanbesteigung zum Sonnenaufgang. Auf Bali, auf Aruba und in Tirol. Ich mag so etwas nicht. Schon gar nicht am frühen Morgen, wenn mein Magen noch flau ist und meine Worte rar. Ich kann nichts daran finden. Und wenn andere darüber staunen, werde ich noch ärgerlicher.
Und dann war da der Atlantik. Dem es völlig egal war, das ich schlecht drauf war. Die Französin der Gruppe amüsierte sich über mich – eine Österreicherin, in den Alpen zu Hause und doch so unvorbereitet auf herausfordernde Wetterverhältnisse.
Es ist ein Irrglaube, dass alle Menschen aus den Alpenregionen Reinhold Messners Attitüde und Leidenschaft teilen. Nein, ich fahre auch nicht Ski und kein Snowboard mehr. Ich fahre nur hinauf, um die Aussicht und die Sonne zu genießen. Wenn es kalt und ungemütlich ist, sehe ich keinen Grund, mir einen Skitag anzutun. Die Sitzheizung bei Sesselliften finde ich noch besser als die Erfindung des Après-Ski.
Cabo da Roca: Wo die Natur die Regeln macht
Jedenfalls der Atlantik: Er scherte sich nicht um meine Laune. Weder die Wellen noch der Wind. Also stand ich da, wie ein trotziges Kind, schaute zu den dicken grauen Wolken am Himmel, die hin und wieder das Blau dahinter erkennen ließen, und merkte, wie mein Widerstand weniger wurde.
Der Widerstand als ein Konstrukt aus Mustern, Gewohnheiten und festgefahrenen Gedanken.
Ich wollte wütend sein, verärgert. Doch es war nicht der Atlantik daran schuld, sondern 1000 kleine Umstände, vermutlich von meiner Kindheit bis ins Erwachsenenalter fein säuberlich in Hirn und Knochen abgespeichert. Angestaute Frustrationen, die man sonst gar nicht bemerkt hätte, die jetzt erbarmungslos an die Oberfläche kamen.
Der Atlantik hat keine Miene verzogen. Es war ihm ganz egal, wie ich zu ihm stand. Also konnte ich alles, was mich zu beschweren schien, auch genauso gut loslassen und vom Wind forttragen lassen.
Eigentlich doch ganz einfach. Gelassenheit ist eine Entscheidung. Glück ist eine Entscheidung. In jeder Sekunde hat man die Wahl.
Man kann den emotionalen Rucksack noch durch den Wind, über die unwegsamen Pfade weiterschleppen oder einfach ablegen und sich selbst ein Lächeln schenken. Nicht alles habe ich zurückgelassen, aber irgendetwas von mir ist dort geblieben. Einfach so. Mühelos. Absichtslos. Welch‘ magische Erleichterung! An diesem Punkt am Rande Europas, der rau genug ist, dass er den Ballast erträgt und sich schon selbst wieder davon befreit, wenn die Zeit reif dafür ist.
Es hat immer etwas Mystisches,
an einem der höchsten, tiefsten oder exponiertesten Punkte der Erde zu sein.
Oder am westlichsten Punkt Europas.
Wo der Atlantik mit seinen mächtigen Wellen gegen die Klippen schlägt.
Und einem der Wind schonungslos um die Ohren peitscht.
Hier an der Küste zu stehen und trotz aller Ungemütlichkeit bleiben zu wollen
– voller Faszination & Neugier –
ist wie ein Schritt aus der Komfortzone, der einen in das Unbekannte zieht.
In eine andersartige Welt, die die wahrhaftigere zu sein scheint.
~ Jeanette
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[…] durch mystische Wälder. Eine weitere Wanderung mit unserem kundigen Guide Filipe startete am Cabo da Roca und führte an imposanten Küsten […]