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Warum es überflüssig ist, im Paradies zu meditieren // Malediven

Lesen. Yoga. Meditieren. Mit lauter guten Vorsätzen in den Traumurlaub? So überflüssig wie ein Wollpulli auf den Malediven.

48 Stunden zurück. Es ist 7.00 Uhr und ich werde vom Lärm zweier Bagger vor meinem Fenster geweckt. Seit dieser Baustelle habe ich meine Work-Life-Balance zwangsläufig umgestellt. Ich versuche mich nun ab 22.00 Uhr in den Ruhemodus zu bringen, um mit dem Start der Bauarbeiten hellwach zu sein. Zu meiner täglichen Morgenroutine gehört eine 6- oder 12-minütige Meditation. Und während ich da nun also täglich sitze, höre ich wie Beton in kleine Stücke zerhackt wird und wenn ich blinzle, dann sehe ich, wie der Kran den Schutt vor meinem Fenster vorbeischweben lässt. Ich beobachte meine Gedanken. Ich versuche mich nicht zu involvieren. Baustelle. Ist eben so. Ich bin nicht die Baustelle. Ich bin nicht meine Gedanken. Schlecht oder gut Meditieren existiert nicht. Der Yogi weiß, was er zu denken hat. Nämlich, dass er eigentlich nicht denken soll. Und wenn er merkt, er tut es trotzdem, dann ist es auch egal. Weil genau das ist eben Meditation. So oder so ähnlich.

Vor 48 Stunden habe ich meinen Trolley theatralisch im Wohnzimmer aufgeklappt und viel zu viel hineingepackt. Damit mir auch ja nichts fehlt, wenn ich im Paradies ankomme: Sonnencreme Faktor 50, Sonnenhut, Schnorchel, Adapter für die Steckdose. Im Paradies gibt es keine Shopping-Mall. Vermutlich auch keinen Baulärm. Und kein kaltes Regenwetter. Ich packe Bücher ein, damit ich viel lesen kann. Ich packe meine faltbare Travelmat aus hauchdünnem Kautschuk ein, damit ich Yoga üben kann. Ich packe endlos viele Medikamente ein, just in case, weil es im Paradies ja keine Ärzte gibt. Ich packe und packe und packe. Es dauert Stunden. Und das obwohl ich von meinen letzten Fernreisen, doch noch so gut in Erinnerung habe: Du packst zu viel ein! Wenn du erst einmal dort bist, wirst du feststellen, wie leicht das Leben ist. Es ist gar nicht so kompliziert, wie du meinst. Lass’ all diese Sicherheitsgedanken los. Sie sind überflüssig. Du fliegst ins Paradies, schon vergessen? Dort brauchst du nichts von den Dingen, von denen du zu Hause meinst, ohne sie nicht existieren zu können.

Ja, ich weiß. Ich habe trotzdem weitergepackt. Mein Handgepäck wiegt eine gefühlte Tonne: Eigene Kopfhörer, weil die aus dem Flugzeug nichts taugen. Ein Erste Hilfe-Kit mit den Pillen gegen Flugangst und die Rescue-Drops für…keine Ahnung wofür, aber kann ja nicht schaden. Die Zahnbürste und der Erfrischungsspray, damit man sich nach dem langen Flug noch wie ein Mensch fühlt. Ein luftiges T-Shirt und Flip-Flops, weil es dort, wo man ankommt viel wärmer sein wird. Die Nüsse und Kekse, falls die Sache mit dem vegetarischen Bord-Menü nicht klappt – und ja, ein Sack voller antioxidativer Goji-Beeren. Die in Bio-Qualität. Am besten die teuersten, die sich weicher anfühlen als die anderen. Nicht die, die beim letzten Ökotest so schlecht abgeschnitten haben. Die, die mir die Verkäuferin im Reformhaus empfohlen hat. Wobei ich sie trotzdem mit der Frage genervt habe, ob es auch welche gibt, die nicht aus China kommen, weil sie doch auch in Europa wachsen. Das Leben ist kompliziert? Stimmt. Und wir machen es gerne noch ein bisschen komplizierter. Weil wir auf der Hut sein müssen. Weil wir manipuliert werden und uns manchmal selbst manipulieren. Weil wir alles richtig machen wollen. Weil wir Sicherheit suchen.

Seit 24 Stunden befinde ich mich im Paradies. Ein anderes Wort kann man eigentlich nicht benutzen. Überall nur freundliche Menschen, weil die, die hier arbeiten, das wohl gar nicht als Arbeit empfinden. Vor meiner Beachvilla biegen sich die Palmen im Wind, das Meer ist türkisblau und das Badezimmer hat kein Dach. Weil es keines braucht. Ich sehe meinen geöffneten Koffer mit all den Dingen, die ich hineingepackt habe und die ich nicht brauchen werde. Selbst die Flip-Flops sind übertrieben, weil man auf der Insel eigentlich nur barfuß läuft. Heute morgen bin ich mit zwei völlig überflüssigen Gedanken aufgewacht: 1. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät für das Frühstück. 2. Wie gut, dass ich meine Yogamatte dabei habe.

48 Stunden zuvor habe ich mit etwas Schadenfreude auf meine Baustelle geblickt, die nach einer regnerischen Nacht einer Sumpflandschaft glich. Ich habe mich gefreut auf meine Reise. Ja, endlich werde ich nicht mehr um 7.00 Uhr geweckt werden! Ich werde es mir gut gehen lassen! Ich werde Kokoswasser trinken, das nicht aus dem Tetra-Pack kommt! Ich werde Yoga üben und meditieren! Und dann bin ich endlich auf dieser paradiesischen Insel irgendwo im Indischen Ozean und stelle fest: Es braucht gar kein Yoga. Und auch keine Meditation. Weil meine Existenz und dieses Glück hier zu sein, eigentlich schon Yoga und Meditation sind. Zumindest sofern es mir gelingt, die überflüssigen Gedanken loszulassen. Was ich gerade mit einem sehr tiefen, sehr aufmerksamen Atemzug tue. Morgen werde ich gedankenlos, schwerlos aufwachen. Das ist kein Vorsatz und keine Affirmation. Das ist einfach ein Satz. Und wenn es nicht so ist, dann ist es auch nicht schlimm. Weil das ist Meditation. Wenn ich in die Pedale trete, um auf die Inselspitze zu kommen, dann ist das Yoga und Meditation. Wenn ich mich vom strahlenden Lächeln, den Worten und der konstruktiven Langsamkeit der Menschen hier inspirieren lasse, dann ist das Yoga und Meditation. Wenn ich die Gekkos auf meiner Terrasse und die Fische im glasklaren Wasser beobachte, dann ist das Yoga und Meditation. Selbst wenn ich mir die sensationellen Früchte und das wunderbar zubereitete Essen mit Achtsamkeit auf der Zunge zergehen lasse, dann ist das Meditation. Wenn ich fernab von Raum und Zeit über Sand wie Puderzucker am Meer entlang spaziere, dann ist das….genau!

Warum also auf meiner Yogamatte wie besessen einen Sonnengruß nach dem anderen absolvieren? Nur damit ich sagen kann: Ich habe im Paradies täglich 30 Minuten Yoga geübt. Bravo, Ziel erreicht, Mission erfüllt? Warum mich hinsetzen und meditieren? Damit ich sagen kann: Ich habe heute 6, 12 Minuten oder sogar länger meditiert. Seht alle her, wie gut ich schon meditieren kann! Denn Yoga ist doch ein alter Hut. Meditieren ist das neue Schwarz und weil ich so am Puls der Zeit bin, mache ich das natürlich schon ewig. Sonst wäre ich ja jetzt auch nicht so gut darin. Ego-Talk Ende.

Die glorreiche Erkenntnis, dass es hier im Paradies gar keine Meditation braucht, macht mich natürlich auch nicht zu einem besseren Menschen. Ich will damit nur ungefähr dasselbe sagen, was Charles Eisenstein und Jason Wachob in ihren Büchern wahrscheinlich noch viel besser vermitteln können als ich.

Ich weiß nur warum wir unser Yoga und unsere Meditation zu Hause in unserem Alltag viel dringender brauchen als zwischen Puderzuckerstrand und Palmen. Weil es eine Herausforderung ist, zu meditieren, wenn die Laune mindestens so schlecht wie das Wetter ist. Und weil wir nur wachsen, wenn wir es trotzdem tun und dem Baustellenlärm vielleicht sogar dankbar sind, dass er uns auf die Probe stellt. Es braucht diese Herausforderungen, um daran zu wachsen. Denn das Paradies ist viel zu gut zu uns, hier können wir nicht wachsen. Aber wir können viel lernen: den Blick für das Schöne, die Wichtigkeit der Ruhe und die Dankbarkeit für das eigene Sein. Alles hat sein Gutes. Alles hat seine Zeit. Und so hilft uns das Paradies vielleicht zu Hause ein besserer und demütiger Mensch zu sein. Doch die eigentliche Arbeit beginnt im unspektakulären Alltag, wo uns der Palmenstrand im besten Fall als Fototapete oder Bildschirmhintergrund begegnet. Sie beginnt mit dem Moment, in dem wir von der Matte steigen oder uns von unserem ach so hübschen Meditationskissen erheben. Und wenn wir gar keine Matte oder Kissen haben und den täglichen Herausforderungen – nicht immer, aber dann und wann – mutig ins Auge blicken, umso besser!

Aloha & Namasté

Jeanette

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2 comments

  1. Hallo Jeanette,
    Wie schön, dass Du auf den Malediven Ruhe und natürliche Meditation gefunden hast. Ich habe vor 18 Jahren (ist es wirklich schon so lange her ?) 2 Jahre auf den Malediven gearbeitet. Und wie Du auch schreibst, es ist eigentlich keine Arbeit, man fühlt sich einfach toll.
    Liebe Grüsse,
    Martina

    1. Liebe Martina, das klingt ja interessant! Ich hab mit einigen Einheimischen gesprochen, die auch sehr froh darüber sind, im Paradies aufgewachsen zu sein und dort arbeiten und leben zu können. Ich glaube das Beste daran ist, dass man keine Schuhe braucht. Selbst die Wasserflugzeug-Piloten machen ihre Arbeit barfuß! ;)