Yogaurlaub Kreta
Wo versteckt man sich vor einer lauten, hektischen Welt? Im Enagron Eco-Village in einem verschwiegenen Tal auf Kreta.
Die verschlungenen Straßen quer durch die hügelige Landschaft Kretas, die bei Nacht noch eigenwilliger und unberechenbarer wirkt, sind ein deutliches Indiz dafür, dass wir es nicht mit einem Möchtegern-Hideaway zu tun haben. Denn dieses wäre überall angepriesen worden, man hätte längst in irgendeinem Magazin darüber gelesen und schon am Flughafen in Heraklion würde man mühelos der Beschilderung nach Axos folgen. Stattdessen ist das Enagron Eco-Village von der Stelle, an der man denkt, man wäre nun angekommen, noch meilenweit entfernt. Erst, wenn man nicht mehr daran glaubt, sein Ziel jemals zu erreichen, ja, dann ist man tatsächlich dort. Es ist fast so, als hätte sich das Enagron absichtlich so gut versteckt, weil es nur von denen gefunden werden will, die sich auch wirklich Mühe geben. Es ist ein Refugium für all jene, die bereit sind, den Alltag mit all seinen Gewohnheiten, Verlockungen und Annehmlichkeiten loszulassen. Mit dem festen Vorsatz, sich der ländlichen Einfachheit mit ihrem rustikalen Charme hinzugeben. Obwohl wir erst nach Mitternacht eintreffen, heißt man uns mit griechischer Herzlichkeit willkommen – mit Käse, Oliven und einer Karaffe Rotwein. Als wäre die Sonne gerade erst untergegangen.
Zu müde, jedes Detail in meinem geräumigen Zimmer zu begutachten – nur die kleine, mit Raki gefüllte Flasche mitten am Tisch fällt mir auf – falle ich ins Bett und schlafe ohne Umwege ein. Wie schon in einem anderen Blogpost berichtet, hat mich ein Yogaretreat hierher geführt. Und mir ist bereits klar, dass das Wort ‚Retreat‘ an einem Ort wie diesem denkbar passend erscheint. Ich erwache am nächsten Morgen mit lautem Vogelgezwitscher. Die Geräusche, die ich erst der Weckfunktion meines iPhones zuschreibe, kommen originalgetreu aus der Natur, die sich vor mir beim Öffnen der Fensterläden ausbreitet. Was für ein genialer Ausblick! Sanft geschwungene Hügel, sattes Grün, aromatische Düfte. Verkehrsgeräusche gibt es nicht, denn hier kommt kaum jemand vorbei, zufällig schon gar nicht.
Yiannis, den Besitzer und Begründer des Enagron, lernt man beiläufig kennen. Weil er im Garten werkt, mit Glühbirnen hantiert, die kaputtgegangen sind, oder weil er zum Mittagessen im Schatten unter der Laube sitzt. Man wird ihn keine Reden schwingen hören, auch wird er sich selbst nicht in den Mittelpunkt rücken, stattdessen zelebriert er die Einfachheit des Seins. Hier aufgewachsen, kehrte er nach einem schnellen Leben in urbanen Gefielden zu seinen Wurzeln zurück. Angetrieben von der Sehnsucht nach dem Echten und Unverfälschten. Angetrieben vom Traum, ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur zu führen – und andere an dieser Idee teilhaben zu lassen.
Das Licht am Tag, die Stille in der Nacht, die Gerüche und Aromen der Natur, die Stimmungen und Eigenheiten der Jahreszeiten – all das wird im Enagron Eco Village erlebbar.
Nicht, weil man ein ausgeklügeltes Konzept kreiert hat, das Touristen und Urlauber anlocken soll, sondern weil man das Bedürfnis hat, sich der eigentlichen Essenz des Lebens zuzuwenden. Vasillis, Yiannis Sohn, ist das gesprächigere Familienmitglied, das Gästen die Vision seines Vaters näher bringt. Man findet ihn unter anderem bei botanischen Wanderungen, bei denen er auf den üppig bewachsenen Pfaden im und um das Eco-Dorf die Zusammenhänge von Pflanzen, Medizin, Religion und Mythologie erklärt.
Stadtmenschen könnten die akute Langeweile fürchten. Workaholics könnten in Panik ausbrechen, weil sie sich womöglich mit sich selbst statt mit Handy und Laptop beschäftigen müssen. Doch zur Beruhigung sei gesagt, dass an jedem Nachtkästchen ein WIFI-Router steht, der den Kontakt zur Außenwelt nicht unmöglich macht. Die Mutigen unter uns können aber jederzeit den Ausschalteknopf betätigen, was ich sogar einige Male gewagt habe. Es passiert nichts, außer der Tatsache, dass sich ein seltsames Gefühl der Leichtigkeit einstellt. Als hätte man aus topographischen Gründen ein Argument, der digitalen Welt für eine Weile den Rücken zukehren zu dürfen.
Sollte man wirklich nicht wissen, was man mit seiner freien Zeit anstellt (die in meinem Fall mit Iyengar-Yogasessions gut gefüllt war), dann hat man im Enagron Eco-Village vorgesorgt: Mit Kochkursen, bei welchen man lernt, die einfachen Gerichte der kretischen Küche nachzukochen. Auch kann man sich mit der Schafskäseherstellung und dem Brotbacken beschäftigen. Wer sich lieber auf passive Weise den Gaumenfreuden zuwendet, wird in der Enagron-Taverne vorwiegend auf natürliche und biologische Zutaten aus der eigenen Landwirtschaft treffen. Nein, es sind nicht unbedingt vegane Gerichte, die krampfhaft versuchen, den Zeitgeist zu treffen, gekocht wird vielmehr nach bodenständigen Rezepten, die nie vorhatten, besonders einfallsreich zu sein. Die Tatsache, dass es vor allem in den Bergregionen Kretas Tradition hat, ein ganzes Tier über dem offenen Feuer zu grillen, ist bestenfalls für Paleo-Anhänger eine Freude. Vegetarier richten ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die üppigen Desserts und Veganer nehmen sich am besten schon mal den Raki vor. Von dem gibt es übrigens mehr als genug. Und man sollte auch gar nicht versuchen, sich diesem obligatorischen Abschluss jeder Mahlzeit zu entziehen. Auf jeden Fall sollte man auch im kleinen Shop vorbeischauen, in dem man Olivenöl, Honig und andere Besonderheiten aus eigener Produktion und aus der Region erstehen kann. Die Metalldosen mit biologischem Olivenöl zeigen eine Schildkröte und die Worte „go slow“. Die Verpackungen sind so stylisch gestaltet, dass sie im rustikalen Ambiente durchaus aus dem Rahmen fallen, aber später zu Hause daran erinnern, dass man ganz nah dran war an der Natur und an der Essenz des Lebens. Ganz klar, auch ich muss eine solche Dose als Souvenir kaufen.
Möchte man Wanderungen in die Umgebung unternehmen oder hinauf zur Hirten-Hütte wandern, dann schließt man sich am besten Antonis, dem Tourguide des Enagraon an. Und wer bei so viel Bergluft das Meer vermisst, springt in den Pool, der vor imposanter Bergkulisse mit seiner türkisblauen Farbe lockt. Nein, es gibt tatsächlich keine Ausreden, den Rückzug frühzeitig abzubrechen. Selbst wer den Trubel der Stadt vermissen sollte, setzt sich ins Auto (ohne Mietwagen ist das Enagron ohnehin nicht erreichbar) und fährt nach Anogia, Panormos oder gleich bis nach Rhetymno oder Chania.
Ich persönlich finde es eine der schönsten Herausforderungen, die Ruhe und Stille, die sich an solchen Kraftorten unweigerlich breit macht, auszuhalten. Alleine deshalb, um erleichtert festzustellen, wie gut es der Seele tut, sich ausschließlich dem Wesentlichen zuzuwenden. Wahrzunehmen, wie die vielen Gedanken im Kopf nach und nach ein bisschen leiser werden und man schon am zweiten Tag keinen iPhone-Wecker mehr braucht, weil die Vögel vor dem offenen Fenster diesen Job um ein Vielfaches besser machen.
Enagron Eco Tourism Village, Kreta
Axos Mylopotamou, 74051, Kreta Griechenland // www.enagron.gr
Infos & buchen: Enagron Eco-Village*
Dinge, die man vermissen könnte…
- …Verkehrslärm ;) – Stadtmenschen, die komplette Stille unerträglich finden, werden den Aufenthalt im Enagron als absolute Herausforderung empfinden.
- …touristisches Entertainment. Das nächste sehenswerte Dorf Anogia erreicht man nach 20-minütiger Autofahrt. Viel mehr als ein paar mäßig interessante Geschäfte, Cafés und Restaurants darf man allerdings nicht erwarten. Fazit: Entweder weiter fahren oder sich dem Einsiedler-Dasein hingeben.
- …eine heiße Dusche. Das Enagron ist kein 5-Sterne-Resort, sein größter Luxus ist die Natur. Die Badezimmer sind zwar modern ausgestattet, es ist aber nicht immer gesagt, dass das Wasser in der gewünschten Temperatur aus dem Hahn oder dem Duschkopf kommt.
Dinge, die man nicht erwarten würde…
- …kompromisslose Abgeschiedenheit. Wer Rückzug sucht, wird ihn im Enagron auch finden. Garantiert!
- …WLAN-Verbindung. Wenn man will, kann man selbst im Enagron pausenlos online sein. Zwar nicht Sinn der Sache, aber theoretisch durchaus möglich. Meine Internetverbindung war ausgesprochen gut. In der Nacht habe ich den Router neben dem Bett manuell deaktiviert.
- …dass der rote Hauswein so gut schmeckt, dass ich fast täglich eine kleine Karaffe bestellt habe. Der Raki kam übrigens von selbst auf den Tisch, ob er nun bestellt wurde oder nicht ;)
Hinweis: Danke für die Einladung in das Enagron Eco-Village im Rahmen meiner Teilnahme am Yogaretreat mit Sabina Sellers/Das Yogahaus Salzburg.
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