Man schreibt nicht über Konversationen mit Taxifahrern. Sagt Andreas Altmann. Den Autor, Abenteurer und Querdenker halte ich für einen begnadeten Schreiber.
Jede seiner Zeilen, die ich bisher gelesen habe, war faszinierend. Und daher ist das, was er zu sagen hat, geschriebenes Gesetz. Für mich jedenfalls. Doch vielleicht meinte er eher jene Konversationen mit Taxifahrern, die am anderen Ende der Welt stattfinden. Weil der schreibende Reisende, so seine Argumentation, damit nur vortäuschen möchte, wie nah er dran ist, an der Realität. In Burma, Neuseeland oder Mexiko.
Meine Taxifahrer-Konversation begann hingegen vor der Haustür und offenbarte ihren Gehalt auf dem kurzen Weg zum Flughafen. Fast wollte er schon wieder abhauen, um 12.32. Bestellt war er für 12.30 Uhr. Ich glaube, an keinem anderen Ort der Welt haben Taxifahrer eine geringere Frustrationstoleranz als in Salzburg. „Normalerweise stehen die Leute schon lange vor der Tür und warten“, sagt er. „Ich gehöre nicht zu den Normalen“, antworte ich, in Taschen kramend und an folgende Dinge denkend: Schlüssel: ja, Reisepass: ja, Handy: ja, Handykabel: egal, Flugticket: noch nicht, Bügeleisen: hoffentlich abgeschaltet, Rundbürste, Augencreme, iPad…
Nein, so hätte er das nicht gemeint. Macht doch nichts. Ich kläre ihn einfach auf, wie das bei mir so läuft: „Wissen Sie, ich war heute etwas spät dran, den Koffer zu packen. 20 Minuten vor Abfahrt – ja, zugegeben, das ist etwas knapp. Ich bin eben eher chaotisch veranlagt.“ Irgendetwas in mir scheint auf diesen Last-Minute-Kick zu stehen, denke ich und verschweige, dass ich die Wäsche, die in den Koffer sollte auch noch einem Bügel-Quickie unterziehen musste. Dazu kommt die Ausrede meines Vertrauens: Ich bin erst vor 3 Tagen von meiner letzten Reise zurückgekehrt und der Koffer musste daher erst von halbnassen Bikinis und anderem Schnickschnack freigemacht werden.
Doch er soll nicht denken, ich bin die vielreisende Jetsetterin und er der arme taxifahrende Schlucker, der die Welt nicht kennt. Daher verschweige ich diesen Teil.
Doch eine unerwartete Gemeinsamkeit taucht auf – zwischen ihm, dem Fahrer und mir, dem Fahrgast: Wir sind beide keine Locals. Aus uns unerklärlichen Gründen hat es uns hierher verschlagen. Nach 500 Metern sind wir uns einig: Zu viele Berge auf zu wenig Fläche machen die Leute engstirnig und von Zeit zu Zeit muss man einfach raus aus dieser Stadt. Ich wundere mich, wie er seine Gesinnung handhabt. Aber vielleicht hat er ja ein geerbtes Ferienhaus in Antibes, zu dem er sich monatlich selbst chauffiert. Wer weiß das schon. „Ja, die Salzburger tun fast so, als wären sie der Nabel der Welt. Als gäbe es gar nichts anderes rundherum, das interessant sein könnte“, meint der Taxifahrer und er hat Recht. Ja, wer hier lebt, sollte vermeiden, aus dem zurechtgerückten Rahmen zu fallen, weder optisch noch gedanklich noch sonst irgendwie. Inszenierungen, die an Orten wie der Getreidegasse zur Höchstform auflaufen, schreien nach Konformismus, dem lediglich neugierige Japaner widerstehen dürfen ohne unangenehm aufzufallen. Derjenige, der nicht in Mozarts Schubladen passt, tut gut daran, von Zeit zu Zeit das Weite zu suchen. Oder er bleibt hartnäckig, bis er sich so fehl am Platz fühlt wie die Maus vom Mars.
Eine aufgeregte Konversation zwischen Taxitüren entfacht. „Wir sprechen diesselbe Sprache“, sagt er schließlich und an seinen Augen im Rückspiegel sehe ich, dass er lacht. Er, der eigentlich Serbe ist.
Oder Bosnier. Oder Rumäne. Oder etwas ähnliches. Um der Stadt, in der man lebt, auch etwas Positives abzugewinnen, füge ich dem Lästerreigen schnell etwas hinzu (Dass es extrem unsexy ist, über seinen frei gewählten Wohnort schlecht zu reden, wurde mir mal an einer Hotelrezeption in Bozen, nicht die schlechteste Stadt auf diesem Erdball, bewusst): „Ich sehe die Stadt zwar nicht als meine Heimat. Aber sie ist ein guter Stützpunkt, das muss man ihr lassen. Es gibt einen Flughafen, München ist nicht weit und Italien auch nicht.“ Achja, und man kommt schnell raus aus diesem großen Dorf, mit dem Rad ist man sofort mitten in der Natur. Und dann die Seen. Naja, das ist doch was! Themenwechsel. „Also meine Frau packt die Koffer schon seit zwei Wochen. Wir fliegen bald nach Thailand“, verkündet er stolz. Ich freue mich für ihn und offenbare nun freigiebig meine außer Konkurrenz stehende Destination London. „Oh London. Soll schon eine Reise wert sein, oder?“
Beschämt stelle ich fest, wie selbstverständlich ich schon zum gefühlten 39. Mal in die Stadt an der Themse jette, statt die Wochenenden rast- und ruhevoll in den eigenen vier Wänden zu verbringen.
„Was sind denn ihre Lieblingsstädte in Europa?“ Ich mag solche Fragen und freue mich, meine Sicht der Dinge in kompakter Form loszuwerden: „Kopenhagen vielleicht, da sind die Leute locker, bunt und schräg. Oder ja, Lissabon. Generell zieht es mich zumindest in Städte nahe am Wasser. Eigentlich bin ich ohnehin eher am Meer zu finden. Am besten überall dort, wo’s warm ist.“
Ich stelle fest, dass ich kein Bargeld habe. Was mein Image der chaotischen Weltenbummlerin ungewollt untermalt. Doch, kein Problem, am Flughafen gibt’s ja einen Geldautomaten. Statt verständnislosem Kopfschütteln ernte ich ein „Sie wirken an und für sich gar nicht so unorganisiert. Sondern eher wie jemand, der alles im Griff hat.“ Danke, manchmal stimmt das sogar. Kurz vor dem Ziel will der Taxifahrer noch seine Thailand-Vorfreude loswerden. Kein Problem, denn tatsächlich kann ich mich für andere freuen, auch wenn ich sie kaum kenne. Über den Umweg Urlaubsplanung gelangen wir zum Stichwort Thai-Boxen. Aha, da liegt also der Grund für das Urlaubszielen. „Ja, auch“, sagt der Taxifahrer. Thai-Boxen wäre sein liebstes Hobby, auch wenn im Alpenland nur der Skisport zählt. Und schon wieder erweitern wir die gemeinsame Schnittmenge unserer Weltanschauung: Ja, Skifahren ist ok, man muss schließlich nehmen, was man schon vor der Haustür hat. Aber nein, man muss sich nicht schon im Oktober in Vorfreude suhlen und es reicht, wenn man sich da oben mal schnell das Gipfelerlebnis reinzieht, von mir aus auch mit Apfelstrudel, Hüttenzauber, Après Ski und allem, was dazu gehört. Aber dann reicht es auch wieder.
Die Sehnsucht nach Flip-Flops und Meeresrauschen ist einfach größer als die nach gefrorenen Zehen und knirschendem Schnee.
Mit dem Thai-Boxen rückt der Taxifahrer erst nach dem Bekenntnis heraus, dass der Grund für meinen London-Trip etwas mit Yoga zu tun hat (Und das nur, um der Assoziation „die Tussi mit dem quietschbunten Trolley, die nur zum Shoppen verreist“ zu entgehen). „Die Leute hören Thai-Boxen und denken Gewalttäter“, sagt jemand, der die Züge eines Teddybären im Gesicht trägt. „Dabei geht es doch um etwas ganz anderes. Da geht’s um Bewegung, Körperbeherrschung, Körper und Geist miteinander zu verbinden, völlig im Moment zu sein. Das wissen Sie vom Yoga doch bestimmt auch!“ Wow, ja, das wusste ich, aber ich wusste nicht, dass du es auch so siehst.
Im Laufschritt suche ich den Geldautomaten am Flughafen – nunja, zum Glück sind die Distanzen am Salzburger Flughafen ja nicht viel größer als in einem vornehmeren Loft – während der Taxifahrer den prächtig roten Trolley aus dem Kofferraum zieht. Er lächelt, ich lächle. Der Stress meiner Last-Minute-Packaktion ist längst verflogen und ich freue mich über die Erkenntnis, dass gute Gespräche auch dort und dann entstehen, wo man sie am wenigsten vermutet. „Guten Flug!“ sagt er. „Gute Zeit in Thailand!“ sage ich. „Werde ich hoffentlich haben“, sagt er. „Ganz bestimmt“, sage ich.
One comment
Nicht alle Taxifahrer sind nett und reden über sinnvolle Themen. Aber es zeigt, auch ein Versuch ist es wert, vielleicht erfährt man etwas mehr über sein Reiseziel. Wer sollte das besser kennen, als der Taxifahrer?