Ayurveda-Wochenende in Birstein
Nackig. Ölig. Glücklich. So lauten die auf das Wesentliche reduzierten Einsichten von meinem Ayurveda-Wochenende.
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„Binde niemals einen Vata-Typen an einen Bürostuhl“, erklärt Kurleiterin Jutta Krebs bei ihrem Vortrag, dem wir aufmerksam in gemütlicher Runde in der Lounge des Rosenberg Ayurveda Gesundheits- und Kurzentrum lauschen. Und mir wird sofort klar, warum es mir schon immer schwer gefallen ist, pünktlich um 9 Uhr in einem Office zu erscheinen und viele Stunden dort zu verbringen. Ich fühlte mich tatsächlich wie festgezurrt. Mich davon zu befreien – zum Beispiel mit einer Reise um die Welt oder einer Yogalehrerausbildung auf Bali – war ja auch nicht ganz unwesentlich für die Existenz dieses Blogs.
Ich kann also gar nichts dafür, dass ich so gerne reise & ich es nicht lange an einem Platz aushalten kann! Das ist mein VATA! Ok, das PITTA (Feuer) ist auch nicht ganz unschuldig, weil es sich von Vata (Luft) gerne anstacheln lässt. Und was ist eigentlich mit dem KAPHA (Erde)? Oder besser gefragt: Wo ist es abgeblieben und wo kann ich es finden?
Auch dafür hat Jutta Krebs eine Erklärung parat: „Eigentlich kommen nur Vata-Pitta-Menschen zu uns. Kapha-Menschen denken nämlich: Veränderung? Och, das ist mir doch viel zu anstrengend. Es passt doch eigentlich alles, so wie es ist!“ Zum Glück liegt ein ganzes Wochenende vor mir, um das Kapha in mir zu entdecken, denn es hat auch wunderbar erdende Qualitäten, die mir irgendwie abhanden gekommen sind.
Vata, Pitta und Kapha heißen die drei Konstitutionstypen im Ayurveda, die sogenannten DOSHAS, die unsere körperlichen und geistigen Anlagen beschreiben. AyurPrevent nennt sich mein Kurkonzept, das neben einer medizinischen Konsultation auch ayurvedische Vollverpflegung, ein täglich stattfindendes Yoga- und Meditationsprogramm sowie ayurvedische Ölmassagen enthält.
Bevor ich mich mit dem Zug auf den Weg in Richtung Frankfurt mache, checke ich nochmals die Infos, die ich vorab erhalten habe: An den Tagen zuvor kein Alkohol, kein Fleisch und keine frittierten Speisen. Shampoo für ölige Haare. Bücher für die Freizeitgestaltung und bequeme Kleidung. Ich stelle nochmals sicher, dass sich in meinem Info-Blatt keine Überraschungen wie „Einlauf“ verstecken und dann kann der Trolley auch schon losrollen…
Als ich ein paar Stunden später tatsächlich im beschaulichen Birstein ankomme, fühle ich mich sofort ENT-SCHLEU-NIGT. Ja, diese überstrapazierte Wort. Aber an einem Ort, an dem selbst die Suche nach einem Dorfwirtshaus vergeblich erscheint, passt es wie angegossen. Schon der kleine Wintergarten vor dem Eingang sieht aus wie aus einem Märchen – draußen das nass-kalte November-Wetter, drinnen warmes Licht und bunte Kissen. Ich betrete das Haus, in dem es überall nach Chai-Tee und Gewürzen duftet. Von der Dame an der Rezeption werde ich überschwänglich mit einem Küsschen begrüßt und bin mir im Nachhinein gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich ein Versehen war. Viele Menschen, die hier ein- und ausgehen, um sich eine Auszeit zu nehmen oder an einer Ausbildung teilzunehmen, scheinen sich jedenfalls zu kennen. Von unpersönlicher Hotel- oder Kuratmosphäre ist man hier im Rosenberg also meilenweit entfernt.
Überhaupt wird mir ganz warm ums Herz, während ich mit den Hausregeln vertraut gemacht und durch alle wichtigen Räume geführt werde. Ich werde das gesamte Wochenende nicht mehr frieren, so viel ist klar, denn überall ist es wohlig warm und kalte Speisen und Getränke sind hier fast schon ein Tabuthema. Ich beziehe mein loftartiges Zimmer unter dem Dachgiebel im historischen Forsthaus, das mir mit Ausblick auf den Garten durch das große Fenster viel Platz zum Atmen, Regenerieren und Wohlfühlen gibt. Zur schlichten Seminarhaus-Einrichtung gesellen sich opulente indische Möbel & Accessoires – ein Stilbruch, der sich hinnehmen lässt. Schließlich mache ich eine Ayurvedakur und keinen Wellnessurlaub im Designhotel. Höhere Ansprüche ans Interieur werden in den Zimmern im neuen Kurhaus erfüllt, in dem sich auch die Lounge, der Yoga- und die Massageräume befinden. Verbunden sind die Gebäude durch einen unterirdischen Gang. Somit läuft man keine Gefahr, die kuschelige Atmosphäre an diesem Wochenende verlassen zu müssen. Ich tue es später trotzdem, um frische Luft zu schnappen und dabei zufällig ein paar heimliche Raucher zu treffen. Vielleicht sind das ja die Kapha-Typen, die keiner gesehen haben will!
Am späten Nachmittag steht eine Einführungs- und Vorstellungsrunde im Yogaraum auf dem Programm. Anschließend folgen wir den ayurvedischen Gerüchen an eine schön gedeckte Tafel. Ich gewöhne mich rasch an die kleinen Schälchen Ghee, die zur freien Entnahme am Tisch stehen, auch wenn ich keinen Drang verspüre, meine Speisen mit einem Extralöffel geklärter, ayurvedischer Butter zu versehen. Schüsselweise kommt warmes, gekochtes Essen an den Tisch, das fast immer verlockend aussieht und auch so schmeckt. Nur von den weich gekochten Kohlsprossen halte ich mich tunlichst fern, was an einem noch nicht ganz verdauten Kindheitstrauma liegt. Wir hören die Ausführungen des jungen Kochs, der die Zutaten seiner Kreationen erklärt. Süßes kommt zuerst, Bitteres zum Schluss. Wieder etwas gelernt. Wobei Süßes nicht zwangsläufig „Dessert“ bedeutet, auch wenn sich der Koch sogar um eine ayurvedische Interpretation von Tiramisu bemüht. Auch wenn das Essen eine zentrale Rolle bei meinem Wochenende spielt, gilt meine Vorfreude und Neugier vor allem den Ayurveda-Treatments, die erfreulicherweise schon am Ankunftstag Teil des Prevent-Programms sind: Als kleines Highlight darf sich jeder von uns vor dem Zubettgehen noch an einer wohltuenden Fußmassage erfreuen.
Es gibt keinen Internetempfang in meinem Zimmer, was angesichts der Absicht zu entgiften und zu entschleunigen ja auch kein Nachteil ist. Ich bin etwas früher im Bett als sonst. Denn der nächste Tag soll ja auch schon um 7.15 Uhr mit einer Yogastunde beginnen. Eine Uhrzeit, zu der ich üblicherweise eher Murmeltier als Early Bird bin.
Stefan Ries – seines Zeichens Heilpraktiker, Ayurveda-Mediziner und Physiotherapeut – meint es zum Glück ganz sanft mit uns. Viele Übungen im Liegen gaukeln meinem Geist gekonnt vor, dass ich noch gar nicht aufgestanden bin. Gleich danach lockt das Frühstück mit Tee und ayurvedischem Brei. Spätestens jetzt fühle ich, mal abgesehen von der Uhrzeit, keinen Unterschied zu meinem Alltag. Amüsiert beobachte ich manche Teilnehmer, die getrieben zu Brot und Aufstrichen greifen, die man wohlwollend bereit gestellt hat. Dass der Deutsche sein Brot so sehr liebt, ist wohl auch der Grund, warum es auf der ganzen Welt von deutschen Bäckereien nur so wimmelt. Der Kaffee ist zum Glück nicht deutsch (manche werden wissen, was ich meine :), sondern ayurvedisch. Der hauseigene, mit Gewürzen versehene Bio-Kaffee wird in der French-Press im Wintergarten kredenzt. Chai-Tee gibt es auch. Und auch, wenn dieser schöne Service für Kurgäste kostenlos ist, sollte man die Zeit für lange Kaffeekränzchen nicht überschätzen. Auf mich wartet jedenfalls ein ereignisreicher Samstag mit einer aufschlussreichen Konsultation und einer sehr öligen Ganzkörpermassage.
Das warme Öl und die langsamen Ausstriche lassen meinen Körper und Geist langsam aber sicher zur Ruhe kommen. Fast könnte ich meinen, das vermisste Kapha hätte gerade neugierig unter dem Massagetisch hervorgeschaut. Nach einer kurzen Sitzung in der ayurvedischen Schwitzbox, die sich direkt im Behandlungsraum befindet, werde von meiner Therapeutin zu meinem Zimmer zum Nachruhen begleitet. Samt Wärmflasche werde ich liebevoll in die Bettdecke eingerollt. Ein seltener Service, den ich zuletzt bei meinem Leberwickel im Lanserhof erleben durfte. Mein Vata ist überlistet. Denn hätte man mich nicht unter Aufsicht ins Bett gelegt, ich hätte die Ruhephase mal wieder ignoriert. Aber jetzt, wo ich schon mal im Bett liege, kann ich auch einfach hier bleiben und dem Regen zuhören, wie er leise auf das Dach tropft.
Eine Stunde später. Ich bin eingeschlafen. Am helllichten Tag. Das passiert mir sonst nie. Ich bin von mir selbst überrascht und mache mich auf den Weg zu meiner Konsultation bei Stefan Ries. Ob mir die Massage gut getan hätte, fragt er. Oh, ja, es war herrlich. Endlich bin ich etwas zur Ruhe gekommen.
Als hätte er nichts anderes erwartet, verrät er mir mit einem Augenzwinkern die berühmten 3 Worte, die das Gefühl nach einer Abhyanga-Massage am besten zusammenfassen: Nackig, ölig, glücklich.
Puls, Gewicht, Körperstatur, Augen und Zunge…Stefan Ries nimmt alles unter die Lupe und stellt mir einige Fragen zu meinen Essens- und Lebensgewohnheiten. Schnell ist klar: Mein feuriges Pitta und mein luftiges Vata führen einen Kleinkrieg. Das kostet unnötige Energie. Diese Erkenntnis deckt sich mit dem, was mir schon Dorelal Singh im Six Senses Resort auf den Seychellen offenbarte.
Stefan Riess wartet mit konkreten und eigentlich ganz simplen Tipps auf, die mein Vata besänftigen sollen: Mein Leben braucht Routine! Also genau das, was ich am wenigsten mag! Doch alles, was er sagt, klingt absolut plausibel: Nicht zu spät zu Bett gehen, regelmäßige Essenszeiten einhalten und wärmende Speisen zu sich nehmen – so lauten die Grundregeln für umtriebige Vata-Typen wie mich. Und ja, da gäbe es noch diese hilfreichen Dinge wie Yoga, Meditation und Atemübungen. Man stelle sich also vor, wo ich ohne mein Yoga wäre! Ich würde vermutlich irgendwo am Himmel kleben.
Aber sehen wir die Sache positiv: Vata-Typen sprudeln vor Tatendrang, Ideen und Kreativität. An Antriebskraft fehlt es mir jedenfalls selten. Nur ist so ein Tag leider viel zu kurz für alles, was man tun möchte. Aber ich gelobe Besserung! Schon am selben Wochenende spüre ich erste Veränderungen, da man der Routine im Rosenberg sowieso nicht entkommt. Pünktlich ruft das Abendessen und danach wartet noch eine Meditationseinheit auf uns. Ohne Umwege und Zeitverlust finde ich den Weg ins Bett und bin wahnsinnig stolz auf mich. Am Sonntag bin ich bereits ein richtiger Routinier: 7.15 Uhr Yoga. 8.00 Uhr Frühstück. 11.00 Uhr Massage.
Rituale sind doch gar nicht so übel. Man weiß wenigstens, was kommt. Sehr befreiend für unruhige Geister wie mich!
Mit ein paar anderen Teilnehmern lasse ich bei einer weiteren Tasse Tee in der Lounge das Wochenende Revue passieren. Jedem von uns hat die Auszeit gut getan, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.
Im Ayurveda-Shop gleich neben dem Wintergarten-Café kaufe ich noch Gewürz-Mischungen und den köstlichen Ayurveda-Kaffee für zu Hause. Zum Ghee-Liebhaber bin ich wie erwartet auch an diesem Wochenende nicht geworden. Auch ist die Suche nach meinem Kapha noch längst nicht beendet. Und dennoch habe ich 2 wichtige Erkenntnisse vom Rosenberg Kurzentrum mit nach Hause genommen:
- Routinen müssen nicht langweilig sein, ganz im Gegenteil: Sie können sogar äußerst wertvoll sein!
- Es geht nicht nur darum, WAS ich esse und tue, sondern auch WIE ich esse und WIE ich mein Leben gestalte. Achtsam zu sein, Pausen zu machen und auf die eigenen Bedürfnisse zu hören, ist demnach wichtiger als alle Prinzipien einer Lehre strikt zu befolgen!
Links & Kontakte
Rosenberg Ayurveda Gesundheits- und Kurzentrum in Birstein, www.rosenberg-ayurveda.de
Rosenberg Dosha-Test & die 7 Konstitutionstypen
Ayurveda-Kurangebot im Rosenberg
Hinweis: Danke an das Rosenberg Ayurveda Gesundheits- und Kurzentrum für die Teilnahme am AyurPrevent-Wochenende. Dieser Blogpost gibt ausschließlich meine eigenen Meinungen und authentischen Erfahrungen wider.
2 comments
Super geschrieben. Genauso ist Rosenberg. Ich mache hier gerade meine Ausbildung zum Ayurveda Massage Praktiker. Und mir gefällt Ihre Beschreibung über Sie selbst – Trolley statt Rucksack. Ganz mein Ding :-)
Vielen Dank, liebe Heidrun, für deinen Kommentar! Dann sind wir uns ja einig, was das stilvolle Reisen angeht! Viel Spaß bei der Ausbildung und viele interessante Erfahrungen! Ich selbst habe gerade ein TCM-Studium begonnen und finde das auch ganz spannend…